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"Strategieentwicklung erfordert ein attraktives Bild der Zukunft"

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26.03.2023

"Strategieentwicklung erfordert ein attraktives Bild der Zukunft"

Nachhaltiger Unternehmenserfolg ist für Georg Spinner, Strategieberater für Krankenhäuser bei der ETL WRG, unweigerlich mit dem Sprechen über die Zukunft verknüpft. In seinem Beitrag beschreibt er den Aufbau eines Strategieprozesses, angefangen beim essenziellen Dialog der Stakeholder und einer Bestandsaufnahme. Warum gegensätzliche Auffassungen Lösungen noch besser machen, wie Unternehmensberater unzählige mögliche Szenarien strukturieren und welche Schritte für die Annäherung an das definierte Zukunftsbild noch gegangen werden müssen, lesen Sie hier.

„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen!“ Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Satz im meinem 25-jährigen Berufsleben schon gehört habe. Die meisten dieser 25 Jahre habe ich als Unternehmensberater an der Gestaltung von Strategieprozessen gearbeitet. Dieser Satz ist die erwartbare Killerphrase eines Gegenübers, das sich nicht mit der Zukunft beschäftigen oder sich vielleicht gerade nicht mit einem Berater unterhalten will. Im letztgenannten Fall sehe ich das sportlich. Im erstgenannten ist es irritierend.  

Egal, welche Motivation dahinter steckt: Dieses Zitat wirkt auf mich immer wie ein kleiner Stromschlag. Ich vermute, dass es nicht nur mir so geht, denn es drängt sich niemand wirklich darum, die Urheberschaft dieses Zitats für sich in Anspruch zu nehmen. Alle Jahre wieder wird die Urheberschaft erörtert. Die jüngste Erörterung im Spiegel gab mir den Anstoß, diesen Beitrag zu schreiben.

Helmut Schmidt oder Franz Vranitzky, beides Bundeskanzler, denen die Ersterwähnung unter anderen zugeschrieben wird, distanzier(t)en sich eher, als dass sie stolz auf diesen Satz gewesen wären. Aus meiner Sicht ist das absolut nachvollziehbar, denn beide würden wohl nicht abstreiten, dass von ihnen in ihrer Rolle zurecht erwartet wurde, eine Vorstellung davon haben, wie die Zukunft aussehen soll.  

Unser Bild der Zukunft: Was wollen wir erreichen? 

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Länder, Organisationen, Unternehmen oder – in meinem Beratungskontext – Krankenhäuser nachhaltig erfolgreich sein können, wenn sie sich nicht mit der Zukunft beschäftigen. Denn schon allein die Antwort auf die Frage, erfolgreich oder nicht, setzt voraus, dass geklärt ist, was eigentlich erreicht werden soll.  

Die Nomenklatur zu unseren Vorstellungen über die Zukunft im Kontext von Organisationen wurde in den letzten Jahren immer reichhaltiger. Zu Begriffen wie Leitbild und Vision hat sich zuletzt der Begriff Purpose gesellt. Alle Konzepte verbindet, dass sie uns zu einem erstrebenswerten und damit attraktiven Bild der Zukunft führen sollen.  

Dieses attraktive Bild der Zukunft kann bewirken, dass wir Menschen als heliotrope Wesen uns diesem Bild zuwenden. Der Begriff Heliotropismus ist der Botanik entlehnt und kennzeichnet Pflanzen, die sich an der Sonne ausrichten. Wir Menschen tun das auch – gut zu beobachten, wenn jetzt der Frühling kommt. Und wenn wir unsere Orientierung und unseren Blick neu ausrichten, verändern wir auch die Richtung, in die wir uns bewegen. So ist für mich die zentrale Anforderung an Strategieentwicklung auch schon definiert: Wir brauchen ein attraktives Bild der Zukunft! 

Eine gemeinsam geteilte Perspektive auf den Status quo: Wo stehen wir heute? 

Strategieentwicklung einer Organisation bedeutet dann zu beschreiben, welcher Weg am besten in diese attraktive Zukunft führt. Das Zukunftsbild markiert dabei den Zielpunkt des Wegs. Damit die Reise beginnen kann, gilt es dann noch den Startpunkt zu definieren. In einem systemischen Blick auf Organisationen gibt es den Startpunkt allerdings nicht. 

Letztlich besteht eine Organisation aus den Menschen, die mit dieser Organisation zu tun haben, den sogenannten Stakeholdern. Naturgemäß können je nach Rolle, Aufgabe und Position die Perspektiven auf die Organisation und auf den Status quo stark variieren. Die zweite Anforderung an Strategieentwicklung besteht demnach darin, einen Dialog unter den Stakeholdern zu organisieren, der zu einer gemeinsam geteilten Perspektive auf den Status quo führt: Wo stehen wir heute, was läuft gut, was nicht, was wollen wir beibehalten, was müssen wir ändern? All das sind typische und gar nicht so komplizierte Fragestellungen, die diesen Dialog leiten können. Wenn diese Fragestellungen sich auf wiederum typische Dimensionen des Erfolgs einer Organisation wie die Zufriedenheit von Kundinnen, Kunden und Mitarbeitenden, die Nachfrage nach den Angeboten der Organisation, die Qualität der Leistungen und Produkte, die Veränderungs- und Innovationsfähigkeit der Organisation und den wirtschaftlichen Erfolg oder das Geschäftsmodell beziehen, entsteht eine Bestandsaufnahme, die den Startpunkt für den eigenen Strategieprozess ausreichend präzise definiert. 

Richtungsentscheidungen: Wo biegen wir ab? 

Entscheidungen ziehen Auswirkungen in der Zukunft nach sich. Das Wesen der Strategieentwicklung besteht darin, die richtigen Entscheidungen mit Blick auf die Zukunft zu treffen. Die Entscheidung für etwas führt im Schatten auch immer die Entscheidung gegen etwas mit sich. Damit entstehen neben Chancen bei den richtigen Entscheidungen auch Risiken bei falschen Entscheidungen. Verantwortung und Rechenschaftspflicht für Entscheidungsträgerinnen und -träger bestehen natürlich in beiden Fällen, aber nur im letztgenannten Fall wird es problematisch. Damit kommen wir zum nächsten Zitat mit ungeklärter Urheberschaft: „Prognosen sind schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen!“ – wahlweise von Karl Valentin, Niels Bohr, Mark Twain oder Winston Churchill.  

Wenn ich beispielhaft auf die Situation deutscher Krankenhäuser schaue, muss natürlich gesagt werden, dass es schwierig ist, sich mit der Zukunft zu beschäftigen, wenn der tägliche Existenzkampf alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dazu kommt, dass Gesundheitsreformen und entsprechende Änderungen des rechtlichen Rahmens für unsere Krankenhäuser eigentlich permanent und in immer höherer Taktung vorkommen. Von nicht vorhersehbaren Ereignissen wie Pandemie, Krieg und Inflation ganz zu schweigen.  Eine einigermaßen verlässliche Perspektive oder eine belastbare Grundlage für bedeutsame Richtungsentscheidungen können so nur schwer entstehen. 

Annahmen und Szenarien: Was halten wir für wahrscheinlich und wie positionieren wir uns? 

Um trotzdem entscheidungs- und handlungsfähig zu bleiben oder zu werden, geht es nicht anders, als Annahmen über Entwicklungen zu treffen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten könnten. Darunter liegen Trends, die bekannt und stabil sind, z. B. die demographische Entwicklung mit veränderten Anforderungen an das Gesundheitswesen und die abnehmende Verfügbarkeit von Fachkräften. Nehmen wir als Beispiel die aktuelle Reformdebatte. Neben vielen anderen relevanten Fragestellungen könnte man sich folgende Fragen stellen:  

  • Sorgen die geplanten Vorhaltepauschalen dafür, dass der regionale Wettbewerb um Patienten, Fälle und Marktanteile nachlässt? 
  • Führt die Forderung nach stärkerer ambulanter Leistungserbringung zu einer Vergütungsform, die einen tatsächlichen Anreiz für die Verschiebung von stationär nach ambulant schafft? 

Legt man die grundsätzlichen Antwortmöglichkeiten „ja“ und „nein“ an die Enden einer Achse und kombiniert die beiden Achsen, entsteht eine für Unternehmensberatungen typische Vier-Felder-Matrix, die dann die Möglichkeit eröffnet, sich in vier unterschiedlichen Szenarien zu bewegen. Die Reduktion von unzähligen Möglichkeiten auf vier Szenarien kann helfen, den Entscheidungsprozess zu vereinfachen. Im Kern geht es darum, entlang definierter und zentraler Fragestellungen die eigenen Annahmen zu Tage zu fördern und die eigene Position zu möglichen Trends zu bestimmen. Vielleicht entsteht in einem solchen Prozess ja die Erkenntnis, dass es nicht in jedem Fall sinnvoll ist, um jeden Preis für eine möglichst hohe Versorgungsstufe oder um jeden Standort zu kämpfen. 

Strategieentwicklung ist Sprechen über die Zukunft 

Technisch betrachtet, umfassen unsere Strategieprozesse folgende Aspekte: 

  • Bestandsaufnahme zur Situation der Organisation und darauf aufbauend die Entwicklung einer gemeinsam geteilten Perspektive auf den Status quo,
  • Beschreibung bekannter und akzeptierter Trends sowie Aufzeigen von künftigen Entwicklungen, die relevant für die Organisation und gleichzeitig unsicher sind,
  • Entwicklung von Szenarien und Positionierungen in den einzelnen Szenarien, 
  • Beschreibung eines attraktiven Zukunftsbildes und Klärung der eigenen Ambition, 
  • Richtungsentscheidungen auf Basis der Positionierung im wahrscheinlichsten Szenario und auf Basis des Zukunftsbildes, 
  • Definition der Vorhaben, Maßnahmen, Aktivitäten und Veränderungen, die notwendig sind, um die Strategie zu realisieren und sich dem Zukunftsbild zu nähern. 

Hinter all diesen Aspekten liegt natürlich eine ganze Batterie unterschiedlichster Beratungsinstrumente, die in einem Strategieprozess helfen können, Sachverhalte zu analysieren, zu strukturieren, zu sortieren, zu bewerten oder zu priorisieren. Häufig werden diese Informationen in Strategiepapieren oder in Gutachten zusammengefasst, auch von uns. 

In der unbedingt notwendigen Auseinandersetzung der Beteiligten ist es dann allerdings wichtig, in den vorliegenden Informationen Gemeinsamkeiten zu finden und Unterschiede aufzuzeigen. Unterschiede oder gegensätzliche Auffassungen sind für mich wiederum willkommene Gesprächsanlässe. Sie helfen meist, Lösungen noch besser zu machen. Die Realität intensiver Strategiedebatten zeigt dann aber regelmäßig auch, dass es zu erheblichem Frust kommen kann, wenn Unterschiede wie unterm Brennglas seziert werden, immer größer und im Hier und Jetzt als unüberwindbar erscheinen. Hier hilft nur eins: nach vorne schauen und sich im Zukunftsbild Orientierung suchen. 

Bei der Strategieentwicklung ist die Anwendung von Instrumenten des strategischen Managements nicht mal die halbe Miete. Vor allem geht es darum, die richtigen Personen dazu zu bringen, sich Zeit zu nehmen, um gemeinsam in einem Raum, ausgerüstet mit den richtigen Fragen, über die Zukunft zu sprechen. Ganz praktisch bedeutet Strategieentwicklung daher, einen Gesprächsprozess mit den richtigen Beteiligten und mit ausreichend und gut getakteten Terminen auf den Weg zu bringen. 

Wer von Zitaten mit unklarer Urheberschaft noch nicht genug hat: „Die beste Möglichkeit, die Zukunft vorherzusagen, ist, sie zu gestalten.“ (Abraham Lincoln, Peter Drucker oder Willy Brand) 

 

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Georg Spinner
Diplom Politik- und Verwaltungswissenschaften

Mail: georg.spinner@etl-wrg.de


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